Bruderschaft lebt

Bruder­schaft lebt

Von Horst Thoren

Bruder­schaft, das ist ein Stück leben­di­ger Geschichte. Bei Para­de­marsch, Prozes­sion und Königs­ball in Szene gesetzt von Schüt­zen­brü­dern und ‑schwes­tern. Das sind brauch­tums­be­geis­terte Menschen, die die Tradi­tion hoch­le­ben lassen und sich auf Fahnen und Orden zu Glaube, Sitte und Heimat beken­nen. Das ist kein Verein von gestern, wenn auch mit Jahr­hun­derte alter Vergan­gen­heit, sondern eine christ­li­che Gemein­schaft, die sich den Themen der Zeit stellt. Der soziale Gedanke, von der katho­li­schen Kirche den Schüt­zen­brü­dern einge­ge­ben, hat sich zur tragen­den Säule der Bruder­schaf­ten entwickelt.

Die Bereit­schaft, Menschen in Not zu helfen, ob sie in der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft oder in fernen Ländern der Unter­stüt­zung bedür­fen, ist prägend für das bruder­schaft­li­che Mitein­an­der: Ob es, wie in Holt, um den Kran­ken­haus­be­suchs­dienst in der Pfarre, um hand­werk­li­che Arbei­ten für Bedürf­tige, wie in Wald­hau­sen, oder Spen­den­ak­tio­nen für Hilfs­pro­jekte in der Drit­ten Welt, wie in Neuwerk und Korschen­broich, geht: Fast alle Bruder­schaf­ten der Region haben ihr eige­nes Sozi­al­pro­jekt, mit dem sie den beschüt­zen­den Charak­ter ihrer Gemein­schaft unterstreichen.

Das Mitein­an­der in der Bruder­schaft, das Jahr über gepflegt in Grup­pen, Kompa­nien und Schüt­zen­zü­gen, macht die Stärke der Gemein­schaft aus: Oft ist die Schüt­zen­bru­der­schaft mit ihrem Schüt­zen­fest das (letzte) verbin­dende Element in alten Honschaf­ten und Orts­tei­len, die aufge­gan­gen in der großen Stadt, manch­mal nicht einmal mehr einen eige­nen Pfar­rer oder eine Schule haben und ohne das gemein­same Fest ihrer Iden­ti­tät verlus­tig gingen.

Das Zusam­men­tref­fen von Gemein­schafts­ge­fühl und Fest­freude macht die Bruder­schaf­ten offen­sicht­lich attrak­tiv, auch für junge Menschen. Die Schüt­zen kennen – bis auf Vereine in den Innen­städ­ten — kaum Nach­wuchs­sor­gen. Gut ein Drit­tel ihrer Mitglie­der dürfte jünger als 35 Jahre alt sein. Die Anzie­hungs­kraft der Bruder­schaf­ten ist in den länd­lich und klein­städ­tisch struk­tu­rier­ten Bezir­ken am größ­ten, wo die Mitglied­schaft in der Bruder­schaft fast selbst­ver­ständ­lich ist und häufig den Weg für weitere Ämter in Kirche oder Kommune ebnet.

Der verstärkte Zuzug von Neubür­gern in den länd­li­chen Raum hat die Inte­gra­ti­ons­kraft der Bruder­schaf­ten gefor­dert. Bieten doch nicht zuletzt die Volks- und Heimat­feste erste Gele­gen­heit zur Kontakt­auf­nahme. Wer bereit ist, sich in die Gemein­schaft einzu­brin­gen, kann in der Bruder­schaft eine Heimat finden, selbst wenn er aus der Fremde kommt. Nicht anders ist zu erklä­ren, dass in Eicken ein briti­scher Fahnen­of­fi­zier mitmar­schiert, die Dahler Schüt­zen einen türki­schen Gardis­ten in ihren Reihen wissen, in Stadt­mitte und Wald­hau­sen bereits ein spani­scher und ein portu­gie­si­scher Schüt­zen­kö­nig amtier­ten, die Spei­cker einen echten briti­schen Colo­nel als Minis­ter hatten, der Dort­hau­se­ner Heimat­ver­ein ab und an Mitmar­schie­rer aus dem nahe­ge­le­ge­nen Nato ‑Haupt­quar­tier rekru­tiert, und Korschen­broi­cher Neubür­ger im “Hypo-Zug” (der Schüt­zen­kom­pa­nie aus dem Hypo­the­ken­vier­tel) Anschluss finden. Und umge­kehrt zieht es viele Schüt­zen­brü­der, wohin es sie auch immer verschla­gen hat, zum großen Fest ihrer Bruder­schaft in die alte Heimat zurück. Zuletzt kam in Korschen­broich zu Unges Pengste gar einer aus China einge­flo­gen. 

Schützen in der Kirche
Kluge Pfar­rer haben längst erkannt, dass die Schüt­zen­bru­der­schaft wesent­li­che Stütze des Gemein­de­le­bens sein kann, wenn man die Brüder nur zu nehmen weiß. Zwar geste­hen die Bruder­schaft­ler ein, keine besse­ren Chris­ten zu sein, doch ist das christ­li­che Selbst­ver­ständ­nis leben­dig und wird auch im Pflicht­pro­gramm zum Schüt­zen­fest doku­men­tiert: Erst die Fest­messe, dann die Parade. Zu Recht bekla­gen sich mancher­orts Pastöre, zu viele Schüt­zen zögen an der Kirche vorbei (statt hinein). Andere Seel­sor­ger sehen die gute Gele­gen­heit, zumin­dest im Fest­zelt Brüder und Schwes­tern zu tref­fen und anzu­spre­chen, auf die man nicht in jeder Sonn­tags­messe trifft. Und: Die Bruder­schaft­ler sind es gewohnt anzu­pa­cken. Sie helfen gern mit, wenn der Pfar­rer ruft: Ob beim Pfarr­fest, bei der Kirchen­re­no­vie­rung, im Cari­tas­kreis oder tradi­tio­nell durch die Beglei­tung des Aller­hei­ligs­ten bei der Fron­leich­nams­pro­zes­sion. Als öffent­li­ches Glau­bens­be­kennt­nis sind bruder­schaft­li­che Fahnen im Verständ­nis der Schüt­zen unver­zicht­bar. Die häufig mit wert­vol­len Sticke­reien verse­he­nen Fahnen­tü­cher erin­nern oft an den Schutz­pa­tron aller Bruder­schaf­ten, Sankt Sebas­tia­nus, der als Märty­rer von Pfei­len durch­bohrt wurde und für den Glau­ben starb.
Höhe­punkt des bruder­schaft­li­chen Lebens ist das Schüt­zen­fest. Oft ist es mit dem Vogel­schuss verbun­den, bei dem der neue Schüt­zen­kö­nig ermit­telt wird. Wer mit seinem Schuß den letz­ten Rest des Holz­vo­gels von der Stange holt, ist Schüt­zen­kö­nig und damit für ein Jahr höchs­ter Reprä­sen­tant der Gemein­schaft und im Selbst­ver­ständ­nis der Schüt­zen sogar König des gesam­ten Ortes. Als Zeichen seiner Würde trägt die Schüt­zen­ma­jes­tät das Königs­sil­ber, eine häufig Jahr­hun­derte alte Amts­kette mit silber­nen Wappen­schil­den, die auf frühere Amts­in­ha­ber hinwei­sen. An des Königs Seite stehen die von ihm benann­ten Minis­ter, die in alten Zeiten der Bruder­schaft für das Königs­sil­ber (Gramm-genau) bürgen mußten. Zum großen Gefolge des Königs zählen die Offi­ziere der Bruder­schaft, die bei Umzü­gen und Para­den komman­die­ren, und der Vorstand. Ihm stehen vor ein Bruder­meis­ter oder Präsi­dent und der katho­li­sche Pfar­rer als Präses (geist­li­cher Bera­ter). Alle zusam­men bilden mit Fähn­rich und Fahnen­of­fi­zie­ren den Hofstaat, dem im dörf­li­chen Leben hohes Anse­hen zuteil wird. Und die Frauen:? Sie sind “die Zierde des Festes”, ziehen in herr­li­chen Roben mit auf, sind bislang aber nur in der Hälfte der Bruder­schaf­ten der Region als voll­wer­tige Mitglie­der (mit Recht auf Vorstands­amt und Königs­schuss) aner­kannt. Dafür sind Geschie­dene – bei aller Ausrich­tung auf katho­li­sche Glau­bens­sätze – nicht länger vom Königs­amt ausge­schlos­sen. Evan­ge­li­schen Chris­ten hat sich die Bruder­schafts­be­we­gung schon vor Jahr­zehn­ten geöff­net, was letz­tens in Neuwerk soweit führte, die katho­li­sche Kirche zum Schüt­zen­got­tes­dienst als “Ökume­ni­sche Versamm­lungs­raum” auszuweisen.

Kaum anderswo im Rhein­land hat der Main­zer Volks­kund­ler Profes­sor Dr. Herbert Schwedt eine solche Viel­falt an Trach­ten und Bräu­chen entdeckt wie im Glad­ba­cher Land. Beson­der­hei­ten werden erhal­ten und heraus­ge­stellt. Selbst beim Para­de­marsch gibt es Unter­schiede: Ob Lauf­pa­rade (zur Musik der Amboß­polka) in Hehn, Parade vor der Köni­gin im Rhein­dah­le­ner Land, Altars­pa­rade (im Chor­raum der Kirche) in Neuwerk und Bett­rath, Parade vor der Geist­lich­keit in Venn oder Klom­pen­pa­rade der Holz­schuh-tragen­den Damen in Günho­ven, fast über­all gibt es was Beson­de­res. Manch­mal auch nur einma­lig — als Gag: Wie in Herm­ges, wo vor Jahren ein König aufs Kamel stieg. Und dann die Unifor­men? Rich­tig bunt geht es in Wick­ra­th­hahn zu, wo Husa­ren in fast allen Farben aufzie­hen, auf preu­ßi­sche Kaval­le­rie setzen die Wald­hau­se­ner. Und in Pesch trägt der Gene­ral sommer­tags sogar einen (histo­ri­schen) Mantel. Vorherr­schend sind Preu­ßisch-Blau der Offi­ziere, Rhei­nisch-Grün der Jäger und das Schwarz der Grenadiere.

Wer auf Viel­falt und Eigen­stän­dig­keit setzt, muss auf gemein­schaf­ti­che Akti­vi­tä­ten nicht verzich­ten. Schon früh hatten die Schüt­zen der Stadt und des Umlan­des mit den “Verei­nig­ten Bruder­schaf­ten” eine gemein­schaft­li­che Orga­ni­sa­tion. Der Verbund, schon für das 19. Jahr­hun­dert in Kassen­be­rich­ten nach­ge­wie­sen, formierte sich 1925 neu, um sich dem in Mönchen­glad­bach ansäs­si­gen “Volks­ver­ein für das katho­li­sche Deutsch­land” anzu­schlie­ßen. Die Pläne zerschlu­gen sich. Statt dessen betei­lig­ten sich Glad­ba­cher und Korschen­broi­cher Schüt­zen­brü­der 1928 in Köln an der Grün­dung der “Erzbru­der­schaft vom Heili­gen Sebas­tia­nus, dem heuti­gen “Bund der Histo­ri­schen Deut­schen Schützenbruderschaften”.

Der örtli­che Bezirks­ver­band “Mönchen­glad­bach, Rheydt, Korschen­broich” ist mit seinen 38 Schüt­zen­bru­der­schaf­ten und ‑verei­nen der größte regio­nale Zussam­men­schluss des Bruder­schafts­bun­des. Geführt wird der Bezirks­ver­band vom Bruder­rat (Bezirks­vor­stand) mit Bezirks­bun­des­meis­ter (von den Präsi­den­ten gewählt) und Bezirks­prä­ses (vom Bischof benannt) an der Spitze. Der Verbund ist alljähr­lich am ersten Septem­ber-Wochen­ende Gast­ge­ber des Stadt­schüt­zen­fes­tes in Mönchengladbach.

Bundesfest 2021 Uniformen
Er ermit­telt den “König der Könige” (Bezirks­kö­nig), rich­tet Bildungs­ver­an­stal­tun­gen aus und pflegt mit der “Nacht­wall­fahrt der Bruder­schaf­ten“ die kirch­li­che Tradi­tion. In der Schüt­zen-Feste “Dicker Turm” in der Glad­ba­cher Altstadt, einem Teil der mittel­al­ter­li­chen Stadt­be­fes­ti­gung, unter­hält der Bruder­rat seit 1996 das Bezirks­ar­chiv der Bruder­schaf­ten, das in den kommen­den Jahren Schritt um Schritt zum Nieder­rhei­ni­schen Schüt­zen­mu­seum ausge­baut werden soll.

Sicht­ba­rer Ausdruck des gewach­se­nen Anspruchs der Bruder­schaf­ten auf stadt­weite Aner­ken­nung ist das 1981 von Bezirks­bun­des­meis­ter Wilhelm Metzer neube­lebte Stadt­schüt­zen­fest, dessen Tradi­tion auf das “Glad­ba­cher Schüt­zen­fest” von 1836 zurück­ge­führt wird. Aus dem Bruder­schafts­tref­fen mit seinen beschei­de­nen Anfän­gen hat sich im Laufe der Jahre ein großes Stadt­fest entwi­ckelt, das rund um den Alten Markt gefei­ert wird und bis zu 50.000 Gäste anlockt. Das Fest führt Schüt­zen und Bürger zusam­men. Es vereint die Bruder­schaf­ten aus Stadt und Land, die nach 1945 Jahr­zehnte brauch­ten, um ein gesamt­städ­ti­sches Selbst­be­wußt­sein zu entwickeln.

Mehr als 2500 Schüt­zen und Musi­kan­ten ziehen zum Stadt­schüt­zen­fest durch die Stadt. Die Bruder­schaf­ten krönen im Müns­ter ihren (Bezirks-)König und para­die­ren zu dessen Ehren am Alten Markt. Der farben­präch­tige Fest­zug mit Reitern, Kutschen, viel Musik, bunten Unifor­men und Fahnen zeugt von Tradi­ti­ons­be­wußt­sein und Gemein­schafts­ge­fühl der Schüt­zen­fa­mi­lie, die in Stadt und Land rund 20.000 Menschen umfaßt. Die “fried­li­che Demons­tra­tion” der Bruder­schaf­ten, die beim Stadt­schüt­zen­fest für Glaube, Sitte und Heimat Flagge zeigen, wird berei­chert durch stadt­ge­schicht­li­che Gruppen.

Ob 1998 Jan van Werth oder im Vorjahr Graf Balde­rich mit Gemah­lin Hitta zurück­keh­ren, die Schüt­zen bemü­hen sich, Glad­ba­cher Stadt­his­to­rie leben­dig werden zu lassen. Sie erin­nern an 350 Jahre “West­fä­li­scher Friede“ oder “Glad­bach vor 1200 Jahren“, als Papst Leo III. die von Balde­rich und Hitta gestif­tete erste Kirche geweiht haben soll. Dass manch über­lie­ferte Bege­ben­heit aus der Stadt­ver­gan­gen­heit im Dunkeln liegt (wie die Entste­hungs­ge­schichte der Bruder­schaf­ten im Mittel­al­ter), stört die Schüt­zen dabei nicht. 

Sie handeln im Bewußt­sein, daß ihr Brauch­tum das Auf und Ab der Geschichte seit Jahr­hun­der­ten über­stan­den hat – auf zwei- oder drei­hun­dert Jahre mehr oder weni­ger kommt es ihnen kaum an. 

Schließ­lich gibt es immer wieder eifrige Forscher, die — wie jüngst der Pfar­rer von Wanlo — immer neue Quel­len der Schüt­zen­ge­schichte ausgra­ben und die Bruder­schaft altern lassen – in Wanlo bis auf 600 Jahre. Wald­hau­sen soll 700 Jahre alt sein, Neuwerk, Giesen­kir­chen, Hardt und Rhein­dah­len gehö­ren nach bruder­schaft­li­cher Selbst­ein­schät­zung zu den über 500-Jähri­gen. Bruder­schaft ist eben ein Stück leben­di­ger Geschichte.

Infos

Zum Bezirks­ver­band der Histo­ri­schen Deut­schen Schüt­zen­bru­der­schaf­ten gehö­ren 38 Schüt­zen­bru­der­schaf­ten und –vereine in Mönchen­glad­bach und Korschenbroich.

Der Zusam­men­schluss entstand unter der Bezeich­nung „Verei­nigte Bruder­schaf­ten“ bereits 1925 und damit drei Jahre vor Grün­dung der Erzbru­der­schaft vom heili­gen Sebas­tia­nus. Ziel war ursprüng­lich der Eintritt in den in Mönchen­glad­bach ansäs­si­gen Volks­ver­ein für das katho­li­sche Deutsch­land. 1928 schlos­sen sich die Bruder­schaf­ten dann der neuge­grün­de­ten Erzbru­der­schaft an, aus der Bund der Histo­ri­schen Deut­schen Schüt­zen­bru­der­schaf­ten hervor­ge­gan­gen ist.

Der Bezirks­ver­band ist nach 1956, 1972 und 1986 zum vier­ten Mal Ausrich­ter des Bundes­fes­tes der Histo­ri­schen Deut­schen Schützenbruderschaften.

Der Bezirks­ver­band ist Veran­stal­ter des 1981 neube­grün­de­ten Stadt­schüt­zen­fes­tes in Mönchen­glad­bach. Das große Bruder­schafts­tref­fen knüpft an die libe­rale Tradi­tion des Glad­ba­cher Schüt­zen­fes­tes von 1836 an.

Seine Heim­statt hat der Bruder­rat des Bezirks­ver­ban­des in der Schüt­zen-Feste Dicker Turm in der Glad­ba­cher Altstadt. Der 600 Jahre alte Stadt­turm beher­bergt das Bezirks­ar­chiv und eine Ausstel­lung zur Schüt­zen­ge­schichte im Glad­ba­cher Land.

Über seine Akti­vi­tä­ten berich­tet der Bezirks­ver­band bei Face­book unter Schüt­zen Mönchen­glad­bach und mit seinem Inter­net-Auftritt bruderrat-online.de

Ansprech­part­ner für alle Belange des bruder­schaft­li­chen Mitein­an­ders sind Bezirks­bun­des­meis­ter Horst Thoren thoren@bruderrat-online.de und die Mitglie­der des Bruderrates.